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Perfektionismus ablegen: Plädoyer für MUT zur Lücke

Perfekt zu sein klingt toll. „Sie hat einen perfekten Körper.“ „Seine Arbeit ist perfekt!“ Perfektion klingt nach der Ultima Ratio, nach etwas Erstrebenswertem, nach einem Ziel oder Endzustand. Natürlich liegt vieles im Auge des Betrachters, deswegen ist Perfektion eine Illusion oder höchstens eine subjektive Meinung. Dennoch setzt sich das Streben nach Perfektion in so vielen Köpfen durch. Mit positivem Ausgang? Eher nicht.

Der Drang nach Perfektion hat mein Handeln zu Schulzeiten geleitet, ja sicherlich auch regelmäßig zum Erfolg geführt. Dadurch, dass immer alles ‚perfekt’ sein sollte, war ich immer hoch motiviert, auf Bestnoten-Kurs. Auf Lücke lernen? Nicht mit mir! Eher gegen jegliche Lücken, damit nichts schief gehen kann.
Macht solch eine Strebsamkeit oder Perfektionismus glücklich? Meine Erfahrung ist: Auf gar keinen Fall. Es ist immer „nie genug“. Perfektion ist eben nie erreichbar. Die Annäherung kann man immer noch mehr auf die Spitze treiben.

Perfektionismus hindert am (wissenschaftlichen) Arbeiten

Ein Hindernis beim wissenschaftlichen Arbeiten, das ich immer wieder bei meinen Studierenden beobachtet habe und auch aus meiner eigenen Studienzeit von mir selbst kenne, ist der Wunsch nach Perfektion. Dieses Bedürfnis, alles abdecken zu wollen, es besonders gut machen zu wollen, kann so groß und wichtig sein, dass es schwer fällt, überhaupt etwas auf Papier zu bringen oder dranzubleiben.

Dabei wird oft vergessen, dass später durchaus Zeit für Nacharbeiten oder weitere Recherchen bleibt.

Zu Zeiten der Schreibmaschine war dies sicherlich bei weitem komplizierter ohne eine „delete“ Funktion: Ein kleiner Rechtschreibfehler auf der Seite und alles musste neu geschrieben werden. Diese Zeiten sind zum Glück vorbei. Theoretisch kann wild drauflosgeschrieben werden, wenn da nicht diese Gedanken wären, wie z.B. „Wird das für eine (sehr) gute Note reichen? Habe ich alles bis ins kleinste Detail durchdacht? Was, wenn nicht mein gewünschtes Ergebnis bei der Analyse herauskommt?“ Gerade das Unwissen fällt vielen schwer. Doch ist es genau dieser blinde Fleck, der wissenschaftliche Neugier doch eigentlich weckt und erst in Gang bringt. Weil x nicht schon im Voraus bekannt ist, lohnt es sich nachzuforschen. Oder wie Osho (2014) es formuliert:

„Ein voreingenommenes Auge ist blind. Ein Herz, das schon im Voraus entschieden hat, ist tot. Wenn du zu viel im Voraus weißt, verliert deine Intelligenz ihre Schärfe, ihre Schönheit, ihre Intensität. Sie wird stumpf.“

Vom Unwissen zur Neugier – bye bye Perfektionismus

Wäre vorab bekannt, mit welchen Ergebnissen zu rechnen ist, wären wir nicht mit demselben Fokus bei der Sache, wie wir es sind, wenn wir es nicht vorher wissen – was in der Regel der Fall ist. In der Transformation von nicht-wissen zu wissen steckt also eine große Kraft und ein Antrieb, der enormen Schub geben kann. Schub in Form von Neugier, Tatendrang, Wissensdurst oder gar einem Gespür für Innovation. Dabei macht es einen riesigen Unterschied, wie wir an unsere Arbeit ran gehen: Nutzen wir diesen treibenden Schub und geben wir unser bestes oder begeben wir uns ins Fahrwasser von ‚gefallen zu wollen’ (bekomme ich dafür eine gute Note?) oder von Perfektion (Habe ich ans kleinste Detail gedacht? Ist wirklich alles richtig so?). Während der Schub von Neugier uns dazu bewegt, die Forschungsfrage zu beantworten, werden die letzteren beiden Fahrwasser uns immer wieder hemmen oder vom Weg abbringen und in Selbstzweifel stürzen. Wir zweifeln dabei z.T. über Dinge, die nicht in unserer Macht stehen – wie die Note, die wir am Ende erhalten werden. Alles, was wir tun können, ist eine wissenschaftlich saubere und fundierte Arbeit abzuliefern, über die Bewertung entscheiden andere.

Mut zum Schreiben und wissenschaftlichen Arbeiten

Was hat also wissenschaftliches Arbeiten mit Mut zu tun?

  • Zu aller erst braucht es Mut, anzufangen und Perfektionsansprüche beiseite zu stellen. Wie heißt es so schön: Perfektion ist eine Illusion.
  • Um sich nicht zu verzetteln, braucht es Mut, diverse Randerscheinungen (auch wenn sie spannend sein können) beiseite zu lassen – andere Aspekte sind möglicherweise für Ihre Fragestellung relevanter und brauchen Ihre Aufmerksamkeit.
  • Es erfordert Mut, sich umzuentscheiden, sollten Sie einen anderen Weg für Ihre Forschung als vielversprechender erachten.
  • Es braucht Mut, sich für einen Weg, der Sie zu Ergebnissen führt, zu entscheiden und diesen dann konsequent zu gehen.
  • Und es erfordert Mut, Ihre Forschung am Ende kritisch zu reflektieren und einzuräumen, was hätte anders oder gar besser laufen können.
  • Letztlich braucht es Mut, Ihr Werk abzuschließen, auch wenn es noch so viel mehr zu schreiben gäbe.

Haben Sie Mut zur Lücke und bleiben Sie ein neugieriger Forscher. Es muss ja nicht Ihre letzte Forschung(sarbeit) gewesen sein.

Kurz zusammengefasst

Perfektionismus hindert unsere Gedanken am Fließen, weil wir nur mit dem Endergebnis und mit den Erwartungen anderer beschäftigt sind und nicht mit dem Prozess selbst. Hingegen ist es förderlicher, sich von Neugier treiben zu lassen und Neugier als Motivationsschub zu nutzen. Mut zur Lücke hilft uns, uns aufs Wesentliche zu konzentrieren und Randerscheinungen beiseite zu lassen. Es braucht Mut für den Anfang eines Schreibprozesses und für das Ende (zur Reflexion und zum Abschluss). Deshalb: Hab den Mut, dich von deinem Perfektionismus zu verabschieden.

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